Die Legende des Anfanges ist bildreich: Ein Bettler habe sich auf dem Weg nach Herford befunden. Dann geschah ein Wunder, just auf der Kuppe einer kleinen Anhöhe, bereits mit Blick auf die Stadt Herford. Das ist der heutige Luttenberg, einige Meter westlich des Kirchturms. Maria zeigte sich dem Bettler und wies ihn an, der Äbtissin im Tale aufzutragen, sie solle wichtige Veränderungen einleiten: Sich besser um die Stadt kümmern; mehr Zeit zum Beten nehmen; und schließlich: An diesem Ort ein Tochterkloster gründen. Der Wanderer ist zunächst schockiert, der Himmel muss ihn auf bewährte Weise beruhigen, „Fürchte Dich nicht!“, spricht Maria. Schlussendlich erweist er sich als nicht auf den Mund gefallen, und bringt gegenüber der Himmelskönigin an: Er brauche ein Zeichen, die Äbtissin würde ihm sonst kaum glauben. Maria verspricht, sich bei Bedarf als aufsteigende Taube zu zeigen, er solle nur mit einem Kreuz diese Stelle der Vision markieren. Und so läuft die Geschichte dann auch: Er sucht die Äbtissin im Tal auf. Sie lässt sich überzeugen, auf den Luttenberg zu steigen. Und siehe da, auf einem Baumstumpf – neben dem Kreuz – sitzt die weiße Taube und erhebt sich. Die Äbtissin ist sofort für die Sache gewonnen. Eine Kirche „ad mariam et crucem“, für Maria und das Kreuz, wird dort gebaut. Der Baumstumpf auch gleich hinter Gittertüren gesichert. Es ist der Gedenktag der Zwillinge Gervasius und Protasius, der 19. Juni des Jahres 1011, also dicht dran am heidnischen Fest der Sommersonnenwende. Man hat eine Antwort auf die heidnische Logik. Ein gutes Ende.
Tatsächlich lässt sich eine kleine Marienkirche als Baukörper ab 1011 an der anderen Seite jenes Hügels verorten, praktischerweise an einer Wasserstelle gelegen, die man unter dem heutigen Kirchplatz vermutet. Der Erstlingsbau bestand aus einem Turm, mit einem schmalen Schiff (3 Joche lang), mit rechteckigem Abschluss. Sie erkennen aus dieser romanischen Zeit noch die schweren Pfeilerstümpfe am Abschluss der Westempore. Der Grundriss - dann früh erweitert zur Kreuzform -, passend zur Legende, und weiterhin vorne mit einem rechteckigem Abschluss. Wenn Sie in der heutigen Kirche stehen, genau je eine Rosette zur Linken und Rechten nehmen, dann sehen Sie das "M" der Maria genau über sich – das ist die Mitte jenes alten Baus. Schließlich wurde 1325 die Kirche in der heutigen Größe fertig gestellt, mit dem rechten und linken Seitenschiff in gleicher Breite wie das Hauptschiff dazu und einem neuen Chor, der vorne als 5/8-System abschließt. So ermöglichte man einen breiten Schaugiebel, um allen, die sich aus der gleichen Richtung wie jener Bettler nähern, schon weithin sichtbar Marienfiguren im Giebel zu zeigen. Diese Sandsteinarbeiten sind inzwischen vorne im Chor gesichert und zu bewundern.
Der wunderschöne Schnitzaltar fasziniert im jetzigen Nordschiff nicht nur mit seinem Goldgrund, sondern auch mit einem Bildprogramm, wie es um 1500 in Mode war – glücklicherweise sind alle bis auf 2 Figuren darin erhalten geblieben. Ursprünglich als Flügelaltar ganz oben im Chorabschluss nur den Stiftsdamen vorbehalten, krönt er nun jede Taufe über dem modernen Taufbecken. Im Mittelteil, oberes Register, die heiligen drei Könige vor dem Jesuskind. Daneben links „Maria selbdritt“, also das Jesuskind mit Mutter Maria, Großmutter Anna – und Großvater Joachim. Man braucht spätestens hier Voragines „Legenda Aurea“ zur Hand, um den Bildern folgen zu können. So auch für die Kölner Märtyrerlegende der Ursula mit Jungfrauen (u.l.) – der Schnitzaltar scheint aus einer Kölner Werkstatt – und das Martyrium der zehntausend Ritter (u.r.), die Verletzungen durch Dornen am Körper tragen. In den Außenfeldern beachtenswert: Links oben Johannes der Täufer, dessen wildes Kleid ein Bein frei lässt und neben ihm Brigitta von Schweden mit einem Herz als innige Liebeserklärung an Gott. Handfester dagegen Margareta (o.r), der mehrfach ein riesiger Drache erschien, sie umschlung, aber gegen das Kreuz in Antonias Hand nichts ausrichten konnte. Der Drache liegt noch immer besiegt zu Füßen der starken Frau, das Kreuz in ihrer Hand ist aber in den Jahrhunderten verloren gegangen. Schließlich: Außen rechts unten Laurentius (ohne Rost in der Hand) und gegenüber Antonia (mit Kronreifchen auf dem Haupt und Buch in der Hand). Eine von immerhin vier Frauen, die in diesem Bildprogramm der Spätgotik offenbar gerne lesen.
Der nach oben strebende Hochaltar steht heute vor der durchfensterten Ostwand. Beachten Sie zuerst die noch erkennbaren Weihekreuze auf der Altarplatte, gut erhalten aus der romanischen Anfangszeit der Kirche. Darauf seit 1480 ein Reliquientabernakel, der hinter den schmiedeeisernen Gittertüren den Baumstumpf aus der Gründungslegende birgt. Oben auf den Filialen der drei Maßwerktürme ebenfalls dazu passend: Tauben. Im mittlerem Turm, unter eigenem Baldachin eine Madonnenfigur, genaugenommen zwei Marienfiguren, die Rücken an Rücken stehen. Nach vorne zeigt das Christuskind, auf dem Arm der Mutter, einen Apfel der gefallenen, aber geliebten Welt. Nach hinten die Trauben der kommenden Welt mit ihren Festen – so wird man die Symbole lesen dürfen. Die selten schöne Arbeit lässt sich nur mit Blick auf den letzten großen Eingriff in die Bauform erklären: Nachdem 1866 der Altar, der zuvor einige Meter vor dem Chorraum (auf optischer Höhe mit dem Sakramentshaus rechts an der Wand), – und damit nach vorne und auch hinten ganz frei – gestanden hatte, nach oben gehoben worden war, glich man den Boden aller der Jochlängen 2 und 3 auf die Höhe der Vierten an: Die faszinierend große, quadratische Hallenfläche war geschaffen.
Nutzen Sie die Möglichkeit, die Marienkirche digital zu erkunden hier.
Zur Erschließung vieler weiterer Details können Sie im Kirchraum den „DKV Kunstführer Stiftskirche St. Marien auf dem Berge“ erwerben.
Fotos: www.fotostudio-toelke.de